„Wenn der Hund plötzlich brennt“
lautete vor einiger Zeit eine Schlagzeile in der Berliner Morgenpost. Was war da los? Die Story drehte sich um einen innovativen Solarkocher für die Dritte Welt. Ein perfektes Gerät, nur – gekocht hat damit niemand. Die Gründe?
„Erstens: In vielen heißen Ländern bereiten die Menschen ihre Mahlzeiten vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang zu. Zweitens: Mittägliches Kochen ist theoretisch möglich, praktisch wird bei jeder vorbeiziehenden Wolke die Suppe kalt. Drittens: Die Köchin muss höllisch aufpassen, dass der Lichtstrahl aus dem Parabolspiegel genau auf die Kochplatte trifft. Sonst passiert es schon mal, dass der 400 Grad heiße Strahl Unschuldige entzündet – und plötzlich brennt der Hund.“
Eine lehrreiche Geschichte. Sie zeigt, dass es letztlich die Kunden und Nutzer sind, die über den Erfolg eines Produkts oder einer Serviceleistung entscheiden. Und nicht der Erfinder, Unternehmer oder Verkäufer. Dass ein Angebot neu und nützlich ist, bedeutet noch lange nicht, dass es ein Verkaufshit wird. Ohne Marketing läuft heute nichts mehr. Und Marketing beginnt, bevor der Verkäufer anklopft oder das Produkt im Regal (bzw. im Internet) steht – mit der Erforschung der Kundenerwartungen und -wünsche. Denn nur wer seine Kunden kennt und über die Marktsituation informiert ist, kann Herz, Hirn und Brieftasche der Käufer treffen. Unser Tagebuchschreiber, der im hier zu Wort kommt, hat diese Lektion spät, aber nicht zu spät, lernen müssen.
Bewusst habe ich hier als Beispiel die wohl schwierigste Start-up-Variante gewählt: die Gründung eines Unternehmens zur Entwicklung, Herstellung und Vermarktung eines völlig neuen technischen Produkts.
Der Gründer: Dipl.-Ing. Markus Dahl war vor der Gründung mehrere Jahre Mitarbeiter im Labor für Klimatechnik an einer Hochschule.
Seine Produktidee: Fensterjalousien werden mit neuartigen Solarzellen bestückt, um photovoltaische Energie für ein mobiles Klimagerät speichern und nutzen zu können.
Die Story beginnt an einem heißen Sommertag.
Phase I: Buddy Cool – der Start
21. Juni (erstes Jahr): Schon den ganzen Nachmittag knallt die Sonne in meine Wohnung (Dachgeschoss Westseite). In meinem Schlafzimmer herrscht Tropenhitze; an eine erholsame Nachtruhe wird wieder einmal nicht zu denken sein. Ob ein Klimagerät Abhilfe schaffen kann?
2. Juli: Die Anschaffung des Klimageräts war nicht nur teuer, sondern auch sinnlos. Das Laufgeräusch nervt, und der Stromverbrauch ist enorm. Das Ergebnis: Die Temperatur im Schlafzimmer sinkt nach einer Stunde von 29 gerade mal auf 27 Grad. Ist das Gerät ausgeschaltet, steigt die Temperatur blitzschnell wieder an. Also zurück damit in den Elektromarkt.
Schöner Wohnen
30. Juli: Es ist Zeit, meine Wohnung zu renovieren. Omas alte Vorhänge fliegen dabei gleich mit raus. Ich leiste mir Fensterjalousien, und weil sie so futuristisch aussehen, in silbermetallic. Faszinierend, wie sich die Sonne auf den Lamellen spiegelt.
Die Kraft der Sonne
10. August: Das ZDF berichtet von einem unglaublichen Vorhaben. Der Schweizer Luftfahrtpionier Bertrand Piccard will in naher Zukunft in einem Solarflugzeug die Erde umrunden. Nonstop, Tag und Nacht. Erste Tests verliefen ohne große Probleme.
13. August: In der Zeitung lese ich, dass der Photovoltaikmarkt boomt und die Stückkosten von Solarzellen permanent sinken. In dem Artikel ist auch von neuartigen Solarzellen aus Japan die Rede, die so dünn sind, dass sie sich auf Folien drucken lassen.
Die Idee verfestigt sich
16. August: In meinem Kopf formt sich ein Gedanke und lässt mich nicht mehr los: Könnte man nicht mit Solarzellen beschichtete Fensterjalousien zur Energiegewinnung und damit zur Kälteerzeugung nutzen?
Ich könnte mich doch mit dieser Geschäftsidee selbstständig machen, ein Unternehmen gründen! Neues anpacken, raus aus der Job-Routine – und vielleicht richtig gutes Geld verdienen. Ich spüre, wie es anfängt, in meinem Bauch zu kribbeln.
Bin ich ein Unternehmertyp?
10. Oktober: Im Internet stoße ich auf einen Test, der mir zeigen soll, ob ich das Zeug zum Unternehmer habe. Spontan, so verlangt es die Anleitung, beantworte ich am PC rund fünfzig Fragen. Nach einer Sekunde ist das Ergebnis da. „Für Sie wird der Weg in die Selbstständigkeit sehr, sehr schwer sein“, warnt man mich. Das muss ich erst einmal verdauen.
Angeblich bin ich risikoscheu und nicht besonders ehrgeizig. Ich fühle meine Vorbehalte gegenüber Psychotests bestätigt, bin allerdings doch etwas nachdenklich geworden. Ich entdecke aber an mir eine bislang mir selbst verborgen gebliebene Charaktereigenschaft: Hartnäckigkeit. Denn an meiner Gründungsabsicht ändert sich nichts.
Der erste Schritt ist getan
28. November: Endlich. Nach mehreren Wochen intensiver Recherchen und Berechnungen sind das Pflichtenheft und eine erste grobe Konstruktionsbeschreibung fertig. Zwar enthält diese noch viele Fragezeichen, aber zumindest habe ich jetzt eine vernünftige Diskussionsgrundlage.
Markus Dahl hat das Innovationsfieber gepackt. Aber ist seine Produktidee wirklich eine Geschäftsidee, mit der er später im Markt Gewinne einfahren kann? Der Wurm muss bekanntlich dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Also sollte Markus die Fische fragen, d. h. erste Gespräche mit potenziellen Kunden führen. Und zwar bevor er anfängt, Geld in seine Idee zu investieren. Erfahrene Betriebswirtschaftler und Marketingfachleute zu konsultieren, wäre sicher auch nicht verkehrt. Dass Markus darauf verzichtet, ist bei Gründern leider kein Einzelfall.
11. Dezember: Ein Studienfreund hat mir den Kontakt zu einem Forscherteam in einem Technologiepark vermittelt. Die drei jungen Wissenschaftler arbeiten an innovativen Speichersystemen für Solaranlagen. Wir verstehen uns auf Anhieb und wollen uns gegenseitig fachlich unterstützen.
18. Dezember: Trotz der noch ungelösten Probleme bin ich von meiner Produktidee nach wie vor überzeugt. Ich beschließe, mich für ein halbes Jahr von meinem Labor-Job beurlauben zu lassen. Meine Ersparnisse werden hoffentlich reichen.
Ohne eine Einschätzung der Vermarktungschancen geht Markus ein hohes Risiko ein. Dass ein Produkt innovativ und nützlich ist, heißt noch lange nicht, dass es ein Verkaufshit wird. Diese Erfahrung haben schon unzählige Tüftler machen müssen.
4. März: Ohne ein lockeres Netzwerk von wohlmeinenden Unterstützern hätte man es als Einzelkämpfer verdammt schwer. Ich bin froh, dass mir die Solarexperten aus dem Technologiepark in einigen entscheidenden Punkten weiterhelfen konnten. Einiges bleibt aber noch offen.
Gründer brauchen den Rat kompetenter Fachleute, um Know-how-Defizite kompensieren zu können. Wer fehlt im Beraterkreis von Markus? Ohne Zweifel ein Marketingexperte und vielleicht noch ein Internetfachmann.
Crashkurs Businessplan
23. März: Ich will mich um ein Existenzgründungsdarlehen bemühen; eine reiche Erbtante habe ich leider nicht. Ich weiß zwar, dass es ohne einen Businessplan kaum Kredite oder Fördermittel gibt, aber nicht, wie man ihn erstellt.
4. April: Ein BWL-Seminar für Existenzgründer soll mich fit machen. „50 bis 70 Prozent aller Gründungen scheitern“, schockt der Dozent uns gleich zu Beginn. „Mindestens jeder zweite von Ihnen wird es nicht schaffen.“ Na toll.
7. April: Wie ein Businessplan aussieht, habe ich begriffen. Wie man ihn erarbeitet, allerdings nicht. Damit der Plan rund und schlüssig wird, müsste man ja alle Informationen gleichzeitig haben, auch zukünftige. Wie soll das gehen?
9. April: Ich sitze an meinem PC und beginne mit der Beschreibung meiner Geschäftsidee. Ich bin ziemlich ratlos. Umsatzpotenzial, Verkaufspreis, Absatzmenge, Herstellkosten, Marketingetat – alles hängt voneinander ab. Eine Gleichung mit zig Unbekannten! Sind Betriebswirte Hellseher?
5. Juni: In den vergangenen Wochen habe ich mich etwas intensiver mit Businessplänen befasst. Das „Geheimnis“: Für Zahlen, die man noch nicht kennt, trifft man eben plausibel klingende Annahmen. Hauptsache, am Schluss ist alles stimmig.
Noch hat Markus nicht so richtig akzeptiert, dass ein Businessplan kein reines Zahlenspiel sein darf. Wer sind die zukünftigen Kunden, was erwarten sie, und warum sollten sie sein Klimagerät kaufen? Erst wenn Markus darauf überzeugende Antworten gefunden hat, wären die größten Stolpersteine auf seinem weiteren Weg beseitigt.
17. Juni: Dieser Brief haut mich um: Meine Bank verweigert mir einen bereits mündlich zugesagten Hunderttausend-Euro-Kredit, obwohl der Staat im Rahmen eines Förderprogramms für Existenzgründer die Bürgschaft übernommen hätte. Empört rufe ich den Kundenberater an. Seinen Äußerungen entnehme ich, dass die Ablehnung der Zentrale eher routinemäßig mit wohl üblichen Begründungen wie „schlechte Vermarktungschancen“, „große technische Risiken“ usw. erfolgte. (Mein Konzeptpapier hatte anscheinend keiner gelesen.) Der Bankberater verspricht mir, eine alternative Lösung zu finden.
23. Juni (zweites Jahr): Die „alternative Lösung“ kommt per Brief. Der Bankberater bietet mir einen Betriebsmittelkredit (zu hohen Zinsen) an. Zur Absicherung des Kredites müsste ich allerdings noch eine teure Lebensversicherung abschließen. Ich lehne dankend ab.
Rechenkunststücke
28. Juli: Wieder einmal Nachtarbeit! Bis morgen muss ich mein Konzept überarbeiten. Die neue Bank will mehr Zahlen: Umsatz- und Gewinnentwicklung, Break-even-Punkt, Liquiditätsplanung usw. Ich werde eine detaillierte Planung vorlegen, sogar mit Quartalswerten – inzwischen habe ich kapiert, wie man das macht. Es sind reine Zahlenspielereien, aber so überzeugend, dass ich fast schon selbst daran glaube.
Markus erkennt nicht, dass er dabei ist, sich die Dinge schön zu denken. Er muss unbedingt die rosarote Brille abnehmen. Sonst wird sein Gründungsprojekt zum Roulettespiel.
Vielen Dank, liebe Bank
29. Juli: Der Berater lobt mich zwar für mein perfektes Zahlenwerk, bleibt aber skeptisch. „Meinen Sie wirklich, dass es so viele Leute gibt, die das kaufen?“ Ihm klingt das alles zu positiv. Wunschgemäß, aber widerstrebend, korrigiere ich das Markt- und Umsatzpotenzial nach unten.
30. August: Die Absage kam gestern. Die Kreditrevision war wohl anderer Meinung als mein Berater. Die Begründung: Ein zu kleiner Markt. Ich fühle mich verschaukelt. Ich sollte doch meine Schätzungen niedriger hängen! Mir reicht’s.
Diesen Beruf kannte ich noch nicht
5. September: Ich habe einen Tipp bekommen und spreche mit einem sog. Fördermittelberater. Der will mir aus staatlichen Fördertöpfen hunderttausend Euro besorgen, die ich nicht zurückzuzahlen bräuchte. Im Erfolgsfall bekäme er zwanzig Prozent Provision. Keine Ahnung, ob das überhaupt legal ist. Dass ich später für jeden Euro einen Verwendungsnachweis erbringen muss, verdränge ich.
Inzwischen ist es Markus gelungen, zumindest ein Grobkonzept für die zukünftige Vermarktung zu entwickeln. Am Markt überprüft hat er es allerdings nicht. Er hofft, dass die Schwachstellen und Ungereimtheiten unentdeckt bleiben – und hat damit Glück.
13. Oktober: Endlich wieder mal was Positives: Die Teilnahme an einem regionalen Gründerwettbewerb hat sich gelohnt. Heute wird man mir für mein Exposee eine Urkunde (3. Platz) und einen Scheck über dreitausend Euro überreichen. Ich bin mächtig stolz.
18. Oktober: Rettung in letzter Minute! Ich kann es kaum fassen: Das Fördergeld ist da! Auf meinem Konto sind einhunderttausend Euro! Abzüglich der Provision für den Fördermittelberater sollte das für den Bau eines Prototyps reichen.
19. Oktober: Nach der Preisverleihung haben mich u. a. eine Werbeagentur und ein Unternehmensberater angerufen, um mir bei meinem Gründungsvorhaben zu helfen.
Unter Kreativen
21. Oktober: Die Werbeagentur bietet mir den Entwurf eines einheitlichen Gestaltungsbildes für Ge-schäftsdrucksachen und für den Internetauftritt (inklusive Logo und Imagebroschüre) und deren Produk-tion an: „Exzellente Produkte brauchen einen exzellenten Auftritt!“ Stimmt. Aus Kostengründen einigen wir uns erst einmal nur auf eine Mini-Website und einen schicken Flyer. Schon übermorgen wollen mir die Werber Vorschläge für den Markennamen machen.
24. Oktober: „Coolboy“ (finde ich zu schlüpfrig), „Ökocool“ (zu langweilig), „Buddy Cool. Und der Sommer lässt Sie kalt“, das klingt richtig gut. Und welche Symbolfigur könnte als Sympathieträger Bud-dy Cool am besten verkörpern? Genau: ein niedlicher Eisbär. Ein paar Tausender sind mir Website und Flyer (inklusive Markenschutz) schon wert. Morgen ist das Gespräch mit dem Unternehmensberater.
Kick-Back-Marketing
26. Oktober: Der Berater kommt sofort zur Sache: „Erfolgsfaktor Nr. 1 ist heute das Marketing!“ Seine Honorarvorstellung haut mich allerdings um. Der Berater beruhigt mich: Für die Erarbeitung eines Marketingkonzepts gebe es Zuschüsse. Ich müsste allerdings laut Bedingungen ein Viertel des Honorars als Eigenanteil übernehmen. Den will er mir aber auf Umwegen zurücküberweisen. Mir ist das zu heikel. Und außerdem bin ich doch noch gar nicht so weit, um mit dem Marketing zu beginnen.
5. November: Ich darf mich nicht verzetteln. Der Berater hat mir ungewollt die Augen geöffnet. Was nützen mir Werbe- und Vertriebskonzeptionen ohne ein verkaufsfähiges Produkt? Ich werde mich jetzt nur noch um die Fertigstellung des Prototyps kümmern.
Weder die Werbeagentur noch der Marketingberater haben Markus auf die Achillesferse seines Gründungsvorhabens hingewiesen: Hat seine Innovation das Potenzial, Kunden zu gewinnen? Mit anderen Worten: Gibt es eine ausreichend große Marktlücke? Markus ist fest davon überzeugt – so wie fast jeder Erfinder oder Gründer. Natürlich kann man dem Glück vertrauen, aber verlassen sollte man sich darauf nicht.
5. Dezember: Meine alte Hochschule hat mir für ein Jahr ein paar Quadratmeter im Keller mietfrei zur Verfügung gestellt, so dass ich mit den Erprobungsarbeiten starten kann. Ich hoffe dabei natürlich auf die Unterstützung meiner ehemaligen Kollegen. In einem halben Jahr soll der Prototyp fertig sein. Wie schon als Student verdiene ich mir etwas Geld mit Taxifahren.
Endlich
1. Oktober: Der erste Test des Prototyps unter realistischen Bedingungen: Alles scheint zu funktionieren, Betriebsgeräusche sind kaum zu hören – nur stimmt der energetische Wirkungsgrad nicht! Von der errechneten Absenkung der Temperatur eines mittleren Wohnzimmers um drei bis fünf Grad bleiben wir weit entfernt. War alles vergebens?
Böse Überraschungen und Enttäuschungen bleiben wohl keinem Gründer erspart. Markus hat glücklicherweise die seelische Robustheit, mit Krisen fertig zu werden. Also immer weitermachen, niemals aufgeben? Sicher, aber nicht mit dem Kopf durch die Wand – die ist meist stärker.
Phase II: ISOLAR – zurück auf Anfang
10. November: Ich hab’s. Warum muss eigentlich die gesamte Raumtemperatur abgesenkt werden? Eine niedrigere Umgebungstemperatur am Esstisch, am Arbeitsplatz, am Bett oder am Sofa ist doch ausreichend! Für diese Klima-Insel – Abkühlung der Luft über einer Grundfläche von zwei bis vier Quadratmetern – reicht die Energieleistung allemal. Das Ganze sähe dann wie eine moderne Stehleuchte aus. Einen Produktnamen habe ich auch schon: ISOLAR.
2. Januar: Alle Simulationen und Tests bestätigen die Machbarkeit von ISOLAR. Die Energieleistung wäre sogar noch für zusätzlich integrierte LED-Punktstrahler ausreichend. Eine elegante Stehleuchte mit Kühlfunktion! Was jetzt noch fehlt, ist ein überzeugendes Design. Meine Erwartungen an das morgige Gespräch mit einem mir empfohlenen Produktdesigner sind entsprechend hoch.
Vertragsdesign
3. Januar: Der Designer erschreckt mich mit einem achtseitigen Standardvertrag. Und der hat es in sich: Die Rechte am Entwurf würden beim Designer bleiben, Änderungen wären nur mit seiner Zustimmung möglich, Folgeaufträge dürften nur ihm erteilt werden und, und, und. Ich brauche doch nur eine überzeugende Zeichnung – und keinen kostspieligen Kettenvertrag!
2. Februar: Der Prototyp funktioniert bestens, auch als Standleuchte. Das Ganze sieht allerdings noch etwas zu wuchtig aus. Zwei Designstudenten, die sich heute den Prototyp angeschaut haben, wollen mir einige Entwürfe präsentieren. Dass sie ein Honorar erst später bekommen können, haben sie akzeptiert. Mein Konto ist in den roten Zahlen.
Die prekäre Situation, in der sich Markus befindet, ist leider nicht untypisch für Gründer: Das, was man anzubieten hat, ist so gut wie fertig, ob sich aber hierfür Kunden oder Käufer finden lassen, bleibt bis zum Markteintritt offen.
Ich darf nicht aufgeben
12. April: Dass ich mit einer GmbH leichter an einen Kredit käme, hat sich leider nicht bestätigt. Meiner GmbH wollte die Bank zwar Geld leihen, aber nur, wenn ich persönlich dafür bürgen würde. So weit, so gut. Nur, ausreichende Sicherheiten kann ich nicht anbieten. Kulanterweise macht man dann doch noch etwas Geld zu günstigen Zinsen locker.
Unter Engeln
20. April: Die mir von der IHK vermittelten Gespräche mit so genannten Business Angels und Venture-Capital-Gesellschaften verliefen im Sande. Augenscheinlich investieren die lieber ihr Geld in Start-ups aus der Internetbranche. Ich entschließe mich, die Suche nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten noch einmal aufzunehmen. Meine Taxifahrer-Lizenz werde ich vorsorglich verlängern lassen.
6. Mai: Der Prototyp funktioniert auch im Dauertest bestens. Mit Hilfe meines Experten-Netzwerks ist es mir gelungen, Fertigungsunterlagen und Kalkulationsgrundlagen für eine Kleinserie bereitzustellen. Damit war die Basis für eine realistische Planung der Herstellkosten gegeben.
22. Juni: Mit viel Mühe habe ich die Vielzahl der staatlichen Förderprogramme gesichtet und schließlich eine Bewerbung inklusive Businessplan rausgeschickt. Meine Antragsbegründung war wohl nicht so schlecht, denn die betreuende Bank hat mich für morgen zu einem Gespräch eingeladen. Ich bin wieder etwas optimistischer.
K. o. in der zweiten Runde
23. Juni (drittes Jahr): Alles fing gut an, mein Produkt gefiel dem Banker. Doch dann kam es dick. Meine Umsatz- und Kostenplanung zerpflückte er gnadenlos. „Können Sie diese Zahlen belegen?“ Schnell merkte ich, dass ich ihm mit bloßen Vermutungen und willkürlichen Annahmen nicht kommen durfte. „Melden Sie sich wieder, wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben.“
Spät, aber hoffentlich nicht zu spät sind Markus die Augen geöffnet worden. Businesspläne werden nicht in erster Linie für die Bank geschrieben, sondern für das zu gründende Unternehmen. Und dazu gehört ein Marketingkonzept, das auf Fakten basiert und nicht auf Gedankenspielereien.
27. Juni: Von meiner Philosophie, „erst kommt das Produkt, mit dem Verkauf wird es dann schon klappen“, habe ich mich verabschiedet. Was mir fehlt, ist die vom Banker – mit Recht – vermisste Marktanalyse und eine darauf aufbauende überzeugende Umsatz- und Ertragsplanung. Kein Marketing-Bla-Bla, sondern harte Fakten.
30. Juni: Mit Hilfe des Dozenten meines BWL-Seminars entwickele ich ein Programm zur Durchführung von Zielgruppeninterviews. Wie groß ist der Kreis potenzieller Käufer? Sind deren Preisvorstellungen mit den voraussichtlichen Herstellkosten vereinbar? Mit welchem Werbe- und Vertriebsaufwand ist zu rechnen? Die Interviews werde ich selbst durchführen.
15. Juli: Fast alle Befragten signalisierten großes Interesse, manche sogar bereits konkrete Kaufbereitschaft: „Das würde ich sofort kaufen, wenn es das Gerät schon gäbe.“
Wenn Markus meint, dass Kunden bei der Produktpremiere wie vor einem Apple-Store Schlange stehen werden, um ein ISOLAR zu ergattern, könnte er sich gewaltig täuschen. Zwischen dem, was Befragte sagen und was sie später dann tatsächlich tun, klafft meist ein himmelweiter Unterschied. Aber immerhin erlauben die Ergebnisse eine (gedämpft) optimistische Prognose.
Grünes Licht für die Fertigungsvorbereitung
29. Juli: Die Präsentation vor dem Gremium der Bank verlief gut. Hurra, ich bekomme den Kredit! Ohne Abstriche, so wie beantragt. Die Konditionen sind optimal. Die ersten Jahre sind tilgungsfrei, der Zinssatz ist extrem niedrig. Abgesichert ist der Kredit durch eine staatliche Bürgschaft. Die Herstellung der Nullserie kann beginnen.
Banken sind keine Marketingexperten. Für die Kreditvergabe ist in erster Linie die Kreditsicherheit ausschlaggebend und weniger die Geschäftsidee. Das heißt, dass eine Kreditzusage keine Garantie für den Markterfolg sein muss (und umgekehrt eine Kreditverweigerung kein Ausdruck von Skepsis).
13. November: Die Nullserie steht. Böse Überraschungen gab es Gott sei Dank nicht. Zehn ISOLARs sind fertig, für weitere zwanzig habe ich alle Bauteile auf Lager. Das dürfte erst einmal reichen, um über den Winter zu kommen.
Die Stunde der Wahrheit
16. November: Ich schreibe rund zwanzig Personen an, die großes Interesse und teilweise sogar schon konkrete Kaufabsichten signalisiert hatten. Ein befristeter Einführungsrabatt ist mein Lockmittel. Aber was ist, wenn alle zwanzig ihr Gerät bis Weihnachten geliefert bekommen wollen? Oder – der Super-Gau – wenn keiner bestellt?
14. Dezember: Sonderschichten werde ich nicht einlegen müssen – bis heute sind vier Bestellungen eingegangen. Davon zwei aus meinem Bekanntenkreis, und zwei Käufer haben noch einmal den Preis kräftig gedrückt. Ohne Marketing wird im nächsten Jahr wohl nur wenig laufen.
23. Juni (viertes Jahr): Ich ziehe Bilanz: Mit meinen Umsätzen kann ich nicht zufrieden sein; meine Verkaufsziele habe ich nicht erreicht. Mein Marketing muss noch professioneller werden. Mit Mundpropaganda und Internetpräsenz allein komme ich vermutlich aus den roten Zahlen nicht raus. Ich brauche für das Sommergeschäft mehr Werbung, kontinuierliche Pressearbeit und professionelles Online-Marketing. Den Direktvertrieb werde ich beibehalten.
17. September: Die Zahl der Anfragen ist hoch, der Umsatz bleibt aber enttäuschend – trotz positiver Medienberichte. Was ist nur los? An meiner Website kann es nicht liegen. Die ist mittlerweile optimal. Ich werde versuchen, mir über eine Online-Befragung Klarheit zu verschaffen.
Aufgeben oder weitermachen?
10. Oktober: So richtig überraschend ist das Ergebnis meiner Interviews nicht: Die meisten Kaufinteressierten würden gern das Gerät kaufen, aber es ist ihnen viel zu teuer! Die Rechnung ist einfach. Um auf einen für breite Schichten akzeptablen Verkaufspreis zu kommen, müsste ich die Herstellkosten drastisch runterfahren. Das ginge nur, wenn ich die jetzige Stückzahl mindestens verzehnfache. Das hierfür erforderliche Geld gibt mir die Bank niemals.
Hinterher ist man zwar immer klüger, aber wäre die Misere nicht schon sehr früh durch Marktrecherchen und Befragungen abzusehen gewesen? Wer würde so ein Gerät kaufen? Wie groß könnte der Abnehmerkreis sein? Welche Preisvorstellungen haben die Kaufinteressenten? Mit welchen Herstellkosten ist zu rechnen? Lohnt sich das Ganze unterm Strich? Kaum, wie man sieht. Andererseits: Markus hat bewiesen, dass er das Zeug zum Unternehmer hat. Er konnte wertvolle Erfahrungen sammeln und hat sich durchgebissen. Er soll und wird mit neuen Ideen seinen Weg fortsetzen.
22. Oktober: Ich werde ISOLAR auslaufen lassen – zu speziell, zu aufwendig, zu teuer und nicht lukrativ genug. Die Marktnische, in die ich reinwollte, ist schlicht zu klein. Ich brauche ein neues Produkt, das fürs Massengeschäft taugt und preisgünstig ist.
1. November: Welche Geräte im Freizeit- oder Wohnbereich ließen sich solartechnisch aufrüsten? Jetzt ist Brainstorming angesagt. Ich treffe mich mit ein paar guten Bekannten zu einer ersten lockeren Runde.
Phase III: Summerbreeze – der Durchbruch
2. Dezember: Idee Nr. 12 ist es: „Summerbreeze“ soll mein neues Produkt sein, ein Sonnenschirm de luxe: Tagsüber sorgt ein an der Schirmstange verschiebbarer Säulenventilator für eine kühle Brise, nachts verbreiten LEDs in den Streben des Schirms ein warmes Licht. Die Energie kommt von der mit Solarzellen beschichteten Schirmoberfläche.
18. Dezember: Konstruktion und Herstellung sind für mich keine große Herausforderung. Meine Patente kann ich auch für „Summerbreeze“ nutzen, erforderlich ist lediglich noch der Gebrauchsmusterschutz. Und das Beste: Die relativ niedrigen Produktionskosten erlauben einen Preis, der nicht viel höher ist als der für eine gute Strandliege.
Ich fasse neuen Mut
7. März: Das Fernsehen berichtet über „Summerbreeze“! Auf einer großen Freizeitmesse bin ich mit einem Mini-Stand vertreten. Gestern kam das TV-Team vorbei, und heute ist gesendet worden. Fünfzehn lange Sekunden. Ich war ziemlich aufgeregt, finde aber jetzt den Beitrag sehr gelungen. Das ist Stoff für meine Facebook-Auftritte und für YouTube!
15. April: Ich kontaktiere zunächst große Ferienclubs und Hotels im Mittelmeerraum, später soll die Karibik hinzukommen. Ich denke dabei auch an die kostenlose Werbemöglichkeit bei Tausenden von Touristen, von denen ich vermutlich viele als Privatkunden ködern könnte.
13. Mai: Vier Zeitschriften haben sich gemeldet. Sie würden gern über „Summerbreeze“ berichten. Dann kam der Pferdefuß: Ich müsste dafür Werbeanzeigen schalten. Sorry, dafür habe ich noch kein Geld.
15. Juni (fünftes Jahr): Eine internationale Hotelkette mit Sitz in Frankfurt hat angebissen. Die wollen „Summerbreeze“ für ihre Top-Resorts in Dubai.
19. Dezember: In den letzten Monaten habe ich dank der Hotelkette und der Online-Kunden soviel Umsatz gemacht, dass die Gewinnschwelle in Sichtweite ist. Mit „Summerbreeze“ allein komme ich allerdings nicht über die Runden. Ich werde meine Internetpräsenz zu einer Handelsplattform ausbauen, über die ich auch solartechnische Fremdprodukte vertreiben kann.
Phase IV: Sunmarket – der Erfolg
30. Dezember: Jahresrückblick. In meinem Online-Shop („Sunmarket“) mache ich mit der Handelsware genauso viel Umsatz wie mit „Summerbreeze“. Drei Mitarbeiter sind bei mir fest angestellt. Meine neueste Produktidee: eine kleine Solar-Klimaanlage für Kajütboote. Aber bevor ich damit loslege, schaue ich mir diesmal die Zielgruppe genau an.
29. Dezember, ein Jahr später: Der Umsatz wächst stetig, und ich bin fast schuldenfrei. Einige japanische Solarprodukte mit sehr interessanten Margen werden in Kürze mein Handelssortiment abrunden. Stress? Na klar! Aber es hat sich gelohnt. Selbstverantwortung und unternehmerische Freiheit möchte ich nicht mehr missen.
Hier endet das Tagebuch von Markus Dahl. Dass aus seinem Gründungsprojekt letztlich doch noch eine Erfolgsstory geworden ist, verdankt er drei Tugenden: Entschlossenheit, Durchhaltevermögen und Lernfähigkeit. Und dem Glück des Tüchtigen.
Das Gründertagebuch ist von mir nach den mündlichen Berichten des Gründers aufgezeichnet worden. Gründername und Produktkonzept sind auf Wunsch des Gründers fiktiv. Hinter dem Namen Markus Dahl verbirgt sich ein Gründer, der heute, nach mehrjähriger Tätigkeit als Einzelunternehmer und anschließender Fusion mit einem Partnerunternehmen, Geschäftsführender Gesellschafter eines mittelständischen Unternehmens für Solartechnik ist. Eingeflossen sind zusätzlich noch meine eigenen Erfahrungen sowie Berichte von Gründerinnen und Gründern, deren Weg in die berufliche Selbstständigkeit ich als Hochschullehrer für Marketing und Dozent an der Gründerwerkstatt der Beuth Hochschule für Technik Berlin begleitet habe.
Und um die Basics nicht zu vergessen: Was heißt eigentlich Marketing?